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Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication

Erschienen am 25.02.2002
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783821808970
Sprache: Deutsch
Umfang: 680 S.
Format (T/L/B): 4.5 x 22.5 x 14.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Zarter Flugschatten Wir betreten die Bahnhöfe: fast immer in der Stadtmitte gelegen, an ihren Vorderseiten kolossal den großen Boulevards geöffnet, Einfallstore in eine Welt aus Fahrplänen und Destinationen. Wir betreten die Bahnhöfe, an irgendeinem Ort, stehen vor der Pariser Gare de l''Est, unser Blick wandert über die Front, wir erheben uns, passieren die hundert Jahre alten Figurinen des Verkehrs und des modernen Fortschritts, setzen uns kurz auf einen der Vorsprünge, von deren Höhe aus die scheinbar chaotische Bewegung des Kommens und Gehens der Reisenden eine Ordnung erhält, eine Logik des Austauschs und des freien Fließens, die, je höher wir steigen, desto geschmeidiger und natürlicher erscheint, wie auch die Stränge der Schienen, die undurchschaubar und wahllos wirken, solange man sich auf gleicher Höhe mit ihnen befindet. Doch jetzt, in diesem Augenblick, da wir den Bahnhof Milano Centrale endgültig überblicken und die klassische Anordnung seiner kolossalen Treppenhäuser begriffen haben, wenden wir uns wieder nach Norden und ermessen bewundernd den Strauß von Richtungen und Verzweigungen, die sich uns darbieten. Es ist ganz egal, welchem der Schienenstränge wir folgen: Sie führen fort, verzweigen sich immer weiter und weiter, bis sie in der selbstbewußt aufragenden Südostseite des Genfer Hauptbahnhofs enden, in der theatralischen Kulisse des Bahnhofs von Straßburg, in Genuas orientalischer Phantasmagorie mit ihrer kleinen, spitzen Kuppel und den in die Felsen gebauten Bahnsteigen, die langgestreckten, kühlen Höhlen gleichen. Wir umschweben das zierliche, in den Stadtverkehr gesenkte Portal des Hauptbahnhofs Kopenhagen, Helsinkis schweigende Wächter, die riesigen Granitfiguren, die gewaltige leuchtende Kugeln in die nordische Nacht hineinhalten, spüren die Hektik von Santa Maria Novella in Florenz oder die atemberaubende Weitläufigkeit von Wien West, um schließlich auf den Gedanken zu kommen, uns irgendwo im Inneren der Bahnhöfe niederzulassen und den Flug zu unterbrechen. Dort allerdings, auf den Stahlträgern, den Säulen und den gegen alle Schwere in lichten Bögen geschwungenen eisernen Balustraden, wimmelt es von spitzen Stacheln und von hinterhältigen Drähten, die uns Stromschläge versetzen. Man duldet uns nicht, man vertreibt uns, kaum daß wir uns irgendwo niedergelassen haben. Also durchqueren wir ruhelos die Hallen, fliegen zwischen den Ausgängen hin und her, sammeln uns auf den Vorplätzen, schwärmen auf, und manchmal lassen wir uns in die ruhigen Winkel voller Zigarettenstummel und Abfall treiben, in denen wir plötzlich alleine sind, und für uns. Eine einzelne. Eine unter vielen. Da ist sie. Gehen Sie auf Grand Tour